Werkbrief
Warme, glatte Oberflächen mit sanftem, tiefem Glanz
7 Fragen an Salome Lippuner (Urushisakka und Goldschmiedin), Neumitglied Werkbund Ostschweiz. Sie lebt und arbeitet in Trogen.
Was ist die Arbeit einer Urushisakka?
Das japanische Wort Urushisakka kann übersetzt werden mit Urushi-Autorin. Urushi ist der Saft des in Ostasien wachsenden Lackbaumes Urushi no Ki (lat. Rhus verniciflua) – ein schönes und kostbares Werkmaterial, das gekonnt verarbeitet werden muss. Im Gegensatz zur Meisterin der japanischen Handwerkstradition hat eine Autorin keine streng geregelte Ausbildung in der Nachfolge eines Meisters oder einer Meisterin absolviert. Meine Kreativität konnte sich deshalb auf freieren Wegen entfalten. Dazu trug sicherlich auch meine nicht asiatische Herkunft bei.
Ich entwerfe meine Arbeiten und führe sie eigenhändig aus. Oftmals arbeite ich auch mit Holzfachleuten, wie z. B. Schreiner:innen oder Drechsler:innen zusammen.
Was bewog dich dazu, mit dem Rohstoff Urushi zu arbeiten?
Bereits als Kind kam ich in Berührung mit japanischen Urushi-Objekten mit Inrōs – das sind japanische Siegel- bzw. Medizinschachteln – oder Schatullen. Ich durfte diese nicht nur betrachten, sondern auch berühren und verliebte mich sogleich in die warme, glatte Oberfläche und den sanften, tiefen Glanz. Später, vor Beginn der Lehre als Goldschmiedin, entdeckte ich in Paris die mit Urushi verarbeiteten Möbel von Eileen Gray. Damals fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass auch ich mit diesem Werkstoff arbeiten könnte. Dass ich ihn zunächst an Schmuck anwenden würde, war naheliegend.
Als Urushisakka übst du ein traditionelles und sehr gut gehütetes Handwerk aus. Wie hast du es geschafft, an gute Urushi-Bezugsquellen zu gelangen?
Zunächst durch die Vermittlung meiner ersten Lehrerin, der Restauratorin und Lackkünstlerin Silvia Miklin. Damals, vor dem Internetzeitalter, war der Erwerb von Urushi nicht nur für Europäer:innen, sondern auch für berufsfremde Japaner:innen sehr schwierig. Später, nachdem ich in Wajima in verschiedenen Urushi-Manufakturen gearbeitet hatte, konnte ich mir die Zusammenarbeit mit einem Lackhändler sichern; heute führt dessen Tochter das Geschäft. Sie kennt und schätzt meine Arbeit und besorgt mir die verschiedenen Urushi-Qualitäten für meine immer wieder wechselnden Anforderungen.
Begonnen hast du deine Arbeit mit Urushi mit Schmuck-Objekten. Wie gingst du dabei vor?
Ich erhielt zuerst eine sehr kurze Einführung von Silvia Miklin. Danach probierte ich viel und begann, eigene Techniken zu entwickeln. Da es in der Schmuckgestaltung keine Urushi-Tradition und deshalb auch keine Vorbilder gab, bestand die Herausforderung darin, eine eigene, dem Schmuck entsprechende Ausdrucksform zu finden. Als ich nach einigen Jahren des Experimentierens das Bedürfnis hatte, die Herkunftskultur mit meinen Arbeiten zu konfrontieren, reiste ich nach Wajima, dem prestigeträchtigsten und traditionellsten Urushi Ort Japans. Zu meinem Erstaunen wurde ich dort dank meiner Kreationen mit offenen Armen empfangen. Es wurde mir zwar beschieden, nichts zu können, doch meine Objekte wurden als sehr interessant anerkannt. Ich bekam die Einladung wiederzukommen und Wajimanuri-Urushi von der Pike auf zu erlernen, was ich dann als Mitarbeiterin in verschiedenen Werkstätten auch tat.
Für deine Eierschalenmosaike wendest du weitere traditionelle asiatische Techniken an. Wie machst du das?
Der Armreif «Black, White & Gold» ist ein Beispiel für die Weiterentwicklung traditioneller asiatischer Techniken: auf dem geschnitzten Holzkern des Armreifs bauen sich die vielen Urushi-Spachtelschichten auf. Diese garantieren einerseits die erforderliche Robustheit, andererseits perfektionieren sie die Form. Die Eigenfarbe von Urushi ähnelt der Farbpalette von Bernstein. Sie reicht von einem dunklen Braun bis hin zu Gelb. Um weisse Stellen zu kreieren, behilft man sich traditionellerweise mit Wachteleierschalen, die mit einer speziellen Technik eingelegt werden. Ich verwende hierfür jedoch die etwas dickeren Hühnereierschalen, die ein anderes Craquelé-Bild abgeben. Über die empfindlichen Eierschalen lege ich mehrere feinste Lagen eines hellen, polierten Urushi. Die «schwarzen» Stellen ergeben sich dank hochwertigem dunklen und dick aufgetragenem Urushi. Danach erfolgt die Politur. In der Werkstätte meiner Lehrer in Wajima wäre dieses Vorgehen ein absolutes No-Go. Auch die Imperfektion der Blattgoldauflage auf der Innenseite des Armreifes ist von mir gewollt. Heute herrscht überall maschinengemachte Präzision. Vor der Industriellen Revolution wurde händische Perfektion noch anders bewertet. Die Sehgewohnheiten verändern sich. Heute geht es stärker um den unmittelbaren Ausdruck der Material- und Formeigenschaften, als um Makellosigkeit, die das Auge durchaus auch langweilen kann.
Du bist auch in der Innenarchitektur und im Möbeldesign tätig und hast kürzlich mit Gion A. Caminada zusammengearbeitet. Was war dein Part im neueröffneten Hotel «Maistra 160» in Pontresina?
Ich kenne Gion Caminada seit vielen Jahren und habe ihn über meine Oberflächenarbeiten für Innenräume auf dem Laufenden gehalten. Für das Hotel «Maistra 160» in Pontresina packte er die Gelegenheit für eine Zusammenarbeit. Ich konnte dort Teile der Badezimmereinrichtung in Fuki Urushi (abgewischter Lack) ausführen. Mit seiner bakterienabweisenden, säure- und laugenfesten Oberfläche ist Urushi ideal für den Einsatz in Bädern und Küchen. Zudem haben wir Tische und eine grosse Schiebetür in Shippi Urushi (Urushi auf lederüberzogenem Holz) hergestellt. Das Lackieren solch grosser Flächen mit Urushi ist in Europa nicht üblich. Das Wissen darum verdanke meinem Freund Shinji Takagi. Er ist Architekt in Wajima. Seine eigenen Entwürfe urushi-beschichteter Innenräume und Möbel führen von der japanischen Tradition in die Gegenwart. Eines Tages drückte er mir die Rezepturen für grosse Urushi-Oberflächen in die Hand, mit der Aufforderung, in Europa Urushi-Interieurs und -Möbel zu gestalten. Er meinte, ich hätte die Fähigkeit dazu, und er stünde mir mit seinem Rat stets zur Seite. Dies liess ich mir nicht zweimal sagen.
Bis vor kurzem war deine Ausstellung «The Timeless Glow of Lacquer» in der Galerie Anne-Sophie Duval in Paris zu sehen. Was hast du dort ausgestellt?
Die Galerie ist eine bekannte Adresse für Art Déco. Die junge Generation möchte deren Angebot nun in Richtung zeitgenössischer Gestaltung erweitern. Für die Ausstellung hatte ich die Ehre eine Brücke zu einigen «alten» Objekten von Jean Dunand, Hamanaka und Albert Rateau schlagen zu dürfen. Dafür wünschte ich mir eine Zusammenarbeit mit einem Gestalter aus Frankreich. Die Galeristin brachte mich mit dem Architekten und Designer Sylvain Dubuisson sowie mit der Designerin und Künstlerin Sandra Carigliano zusammen. Eine spannende Auseinandersetzung über die verschiedenen Kulturen hinweg begann. Daraus entstanden der Sessel «Crossed Legs», einige Spiegel und Plateaus.
Von meinen eigenen Entwürfen war viel Schmuck zu sehen, dazu ein Paravent in mit Feuer behandeltem und lackiertem Zedernholz sowie urushi-lackierte Tabletts in traditioneller Appenzeller Weissküferei.
Nachbemerkung: Leider wurde mit dem Erdbeben vom 1. Januar 2024 die Gegend von Noto Hanto und Wajima schwer beschädigt. Die Altstadt von Wajima brannte teilweise ab, Werkstätten wurden zerstört, es gab auch viele Tote zu beklagen. Shinji Takagis Wunsch ist, dass die Lackkultur in Wajima aus den Ruinen aufersteht und zu einem Mekka des Urushi wird.