Werkbrief
Haltung leben, Verantwortung übernehmen
Ruckstuhl gehört zu den Schweizer Industrieunternehmen, die Gestaltung, Handwerk und unternehmerische Verantwortung miteinander verbinden. Die Teppichmanufaktur mit Sitz in Langenthal steht für langlebige Produkte, ökologische Verantwortung und eine klare gestalterische Haltung – und dies seit über hundert Jahren: lange bevor Begriffe wie Nachhaltigkeit und Ökologie Teil des allgemeinen Vokabulars wurden.
Im Gespräch mit Adrian Bechtold, Geschäftsführer der Ruckstuhl AG, geht es um deren Verwurzelung in der Schweizer Design- und Handwerkstradition, um die Bedeutung des Werkbunds für das Unternehmen und darum, wie ökologische und kulturelle Werte im Betriebsalltag gelebt werden.
Mathis Füssler: Adrian, Ruckstuhl ist ein Unternehmen mit einer langen Geschichte. Was prägt die Firma aus Deiner Sicht bis heute am stärksten?
Adrian Bechtold: Sowohl Kontinuität als auch das Neue. Ruckstuhl ist seit Generationen in Langenthal daheim, und vieles von dem, was wir heute tun, basiert auf Wissen, das über Jahrzehnte gewachsen ist. Dieses Verständnis von Handwerk, Material und Zeit prägt uns. Wir denken nicht in kurzlebigen Zyklen, sondern in langen Linien.
MF: Wie zeigt sich diese Haltung konkret?
AB: Zum Beispiel darin, dass wir Produkte so entwickeln, dass sie lange genutzt werden können. Unsere Teppiche sind reparierbar, modular aufgebaut und zeitlos (also gut) gestaltet. Ein gutes Produkt darf altern. Das ist kein Mangel, sondern eine Qualität. Diese Denkweise ist in unserer Firmenkultur verankert.
MF: Ruckstuhl produziert in der Schweiz. Weshalb?
AB: Weil Nähe zählt: zu den Mitarbeitenden, zu den Materialien, zu den Prozessen. Produktion in der Schweiz bedeutet Qualität und Verantwortung. Wir wissen, wer an den Maschinen steht, und woher unsere Materialien kommen. Das ist vielleicht nicht der billigste Weg, aber der ehrlichste.
MF: Ökologie ist und war schon immer zentral bei Ruckstuhl. Wie wird das umgesetzt?
AB: Ökologie beginnt bei der Frage der Notwendigkeit. Wir produzieren keine kurzfristigen Trendprodukte. Unsere Hauptmaterialien sind natürliche Fasern, insbesondere Wolle – ein nachwachsender Rohstoff mit hervorragenden Eigenschaften. Zudem optimieren wir unsere Prozesse laufend. Das ist kein Projekt, sondern Tagesgeschäft – und das seit Bestehen der Firma, lange bevor Nachhaltigkeit breit diskutiert wurde.
MF: Welche Rolle spielt Gestaltung dabei?
AB: Gestaltung ist das Bindeglied. Sie entscheidet, ob ein Produkt gebraucht wird – und wie lange. Schweizer Gestaltung ist traditionell funktional und zurückhaltend. Das passt zu unserem Ansatz. Unsere Designs sollen nicht primär laut sein, sondern dauerhaft relevant. Gute Gestaltung muss sich nicht ständig erklären.
MF: Der Schweizer Werkbund setzt sich genau für diese Verbindung von Gestaltung, Qualität und Verantwortung ein. Warum ist die Mitgliedschaft für Euch wichtig?
AB: Weil der Werkbund ein Ort ist, an dem diese Fragen ernsthaft verhandelt werden. Es geht nicht nur um Marketing, sondern um Haltung. Der Werkbund fordert Unternehmen heraus, Position zu beziehen – das entspricht unseren eigenen Überzeugungen.
MF: Wie wichtig ist der Austausch mit Gestalter:innen – wie zum Beispiel Trix und Robert Haussmann – für Ruckstuhl?
AB: Sehr wichtig. Unsere Produkte entstehen im Dialog. Wir arbeiten langfristig mit Gestalter:innen zusammen, die unsere Werte teilen. Das braucht Vertrauen und Zeit. Schweizer Design lebt von solchen Beziehungen, nicht von kurzfristigen Projekten.
MF: Ruckstuhl ist stark in Langenthal verankert. Welche Bedeutung hat das?
AB: Langenthal ist Teil unserer Identität. Die industrielle Geschichte, die Textiltradition und das handwerkliche Wissen prägen uns. Wir verstehen uns als Teil eines lokalen Ökosystems und öffnen unsere Räume bewusst für Austausch und Veranstaltungen.
MF: In diesem Zusammenhang finden bei Euch auch Veranstaltungen rund um Schweizer Gestaltung statt, unter anderem der Design Preis Schweiz. Welche Bedeutung haben solche Formate?
AB: Sie machen Gestaltung sichtbar – nicht nur als Inszenierung, sondern auch im Kontext eines produzierenden Unternehmens. Design gehört nicht nur ins Museum, sondern in den Alltag, dorthin, wo gearbeitet wird.
MF: Was erwartest Du von Unternehmen, die Teil des Werkbunds sind oder es werden möchten?
AB: Dass sie Verantwortung zeigen. Nicht alles muss perfekt sein, aber Entscheidungen sollten begründet und nachvollziehbar sein. Der Werkbund bietet einen Rahmen für diesen Austausch. Gerade für Unternehmen ist das wichtig – sonst bleibt man schnell unter sich.
MF: Was macht für Dich ein verantwortungsvolles Schweizer Unternehmen aus?
AB: Langfristiges Denken. Das Bewusstsein für die eigene Wirkung – ökologisch, sozial und kulturell. Und die Bereitschaft, sich in einen grösseren Zusammenhang einzubringen. Der Werkbund ist dafür ein guter Ort. Haltung zeigt sich nicht nur in Worten, sondern im täglichen Tun.
MF: ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.
Nachhaltigkeit als Haltung, nicht als Trend
Diese Einstellung steht in direkter Linie zur Geschichte des Schweizer Werkbunds. Mit Robert und Trix Haussmann prägten Gestalter:innen den Werkbund, die Design nie als reine Formfrage verstanden, sondern als kulturelle Praxis mit gesellschaftlicher Verantwortung. Ihr Werk verband handwerkliche Präzision, theoretische Reflexion und eine kritische Auseinandersetzung mit der Moderne – stets mit einem Bewusstsein für Geschichte, Kontext und Materialität. Damit stehen sie exemplarisch für eine Grundhaltung des Werkbunds: Gestaltung als langfristige Aufgabe.
Diese Kontinuität zeigt sich in einer aktuellen Zusammenarbeit von Ruckstuhl. Die neue Haussmann-Kollektion besteht zu rund 60 Prozent aus recycelter Wolle aus getragenen Kleidern, entwickelt von der Circular Living AG. Ergänzt wird sie durch einen digitalen Produktepass von World of Pi, der Herkunft, Materialien, Pflege und ein digitales «Tagebuch» dokumentiert.
Das Projekt ist ein Beispiel für gelebte Nachhaltigkeit im Sinne des Werkbunds. Designgeschichte wird nicht nur zitiert, sondern weitergeführt – verbunden mit Technologie und Gestaltung.